Qualitätsmanagement wird häufig als eine von außen aufgedrängte, lästige Pflicht und nicht als ohnehin integraler Bestandteil der Unternehmensführung gesehen. Ein Qualitätsmanagement-System wird häufig in Folge einer geplanten ISO-9001-Zertifizierung „geschaffen“ und als etwas neues, vielleicht modernes, aber eigentlich nicht notwendiges Büro gesehen, dass nur Aktenberge schafft und die Mitarbeiter von der Arbeit abhält, aber eigentlich vollkommen überflüssig ist. Diese Annahme ist durchaus verständlich und hat viele Gründe, deren Ausführung an dieser Stelle viel zu weit führen würde; im Kern liegt das Problem aber an der Unkenntnis was Qualitätsmanagement ist und wie sich Qualitätsmanagement häufig selbst präsentiert.
Kurz gesagt, Qualitätsmanagement ist eine auf Daten- und Fakten basierende Steuerung von Unternehmensprozessen um wiederholbar positive Ergebnisse zu erzeugen und ist damit eine große Schnittmenge von Unternehmensführung. Daher ist es wichtig, dass die Unternehmensleitung auch hinter dem Qualitätsmanagement steht und dieses nicht als Störfaktor betrachtet. Andererseits ist es wichtig, dass das Qualitätsmanagement sich als Teil der Unternehmensführung sieht und nicht als Bürokratie-Apparat oder Besserwisser-Abteilung. Um dies zu erreichen ist es wichtig einige grundsätzlichen Punkte zu beachten.
Qualität und Hochwertigkeit
Vergleicht man Fachliteratur zum Thema Qualitätsmanagement, so stellt man fest, dass nahezu alle Werke damit beginnen, die Herkunft des Begriffs „Qualität“ zu erklären. Es ist dann zu lesen, dass der Begriff „Qualität“ vom lateinischen „qualis“ abstammt und in etwa „Beschaffenheit“ bedeutet. Oft wird dann noch hinzugefügt, dass die DIN EN ISO 9000 Qualität als Grad definiert, inwiefern die gestellten Anforderungen erfüllt werden, wobei meist noch die Bedeutung dieser Norm hervorgehoben wird. In der Regel wird dieser Satz dann noch ergänzt durch die Information, dass „Qualität“ in diesem Kontext nicht mit dem gemeinhin üblichen Begriff der „(guten) Qualität“, also Hochwertigkeit, gleichzusetzen ist, sondern eine objektive Bewertung auf Basis definierter Anforderungen darstellt.
Dies ist alles korrekt und umso erstaunlicher ist es, dass viele der Texte, die mit dieser Einleitung beginnen, teilweise bereits ab dem darauf folgenden Absatz, damit beginnen, Qualität im gemeinen Sinne zu verwenden. Verbesserung der Qualität ist dann nicht mehr die Annäherung der tatsächlichen Merkmale (der Begriff „Merkmale“ wird in diesem Zusammenhang von der DIN EN ISO 9000 gebraucht) an die gestellten Anforderungen, sondern die Wertigkeit zu erhöhen.
In der Praxis führt dies zum einen dazu, dass Anforderungen, die möglicherweise tatsächlich objektiv erstellt wurden, nicht mehr das Maß sind an dem die Qualität gemessen wird. Zum anderen driften unternehmerische Zielsetzung (und zwar auf jeder Hierarchie-Ebene) und die Zielsetzungen des Qualitätsmanagement auseinander. Da diese aber entsprechend der Definition des Qualitätsmanagements identisch sein müssen, verstrickt sich das Qualitätsmanagement darüber hinaus noch in inhärente Widersprüche, mit allen daraus resultierenden Folgen.
Würde beispielsweise ein Unternehmen ein Smartphone bauen, dass zwar doppelt so viel Geld kostet, als ein ansonsten vergleichbares Produkt, aber der Hersteller eine Garantie über mindestens 20 Jahre gibt, so wäre dies ohne Frage ein hochwertiges Produkt, hätte also eine „gute Qualität“. Der Absatzmarkt für ein solches Gerät wäre aber praktisch bei Null. Kaum jemand würde einen doppelt so hohen Preis bezahlen für ein Gerät, dass im ersten Moment keinen Mehrwert bietet und selbst jene, die bereit wären die längere Garantiezeit zu honorieren würden vermutlich schnell zum Ergebnis kommen, dass sie in 2, 5 oder spätestens 10 Jahren gar kein Gerät mehr haben möchten, dass zu dieser Zeit überholt sein wird.
In diesem Beispiel wären die Anforderungen an die Wertigkeit des Produktes übertroffen während die unternehmerischen Anforderungen (der Preis) unterschritten wurden. Der Abstand zur Qualität (gewissermaßen als 100% Wert in Bezug auf die Anforderungen) wäre also ein Qualitätsüberschuss der Wertigkeit und ein unternehmerischer Qualitätsmangel. Im Gegenteil dazu würde ein Produkt, welches kurz nach Garantieende kaputt ist, aber nur halb soviel kostet wie ein ansonsten vergleichbares Produkt, die (100%) Qualität möglicherweise genauer treffen, wenn die Anforderungen, Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden (einer Wegwerfgesellschaft) erfüllt würden.
Das Qualitätsmanagement an sich kann und soll also grundsätzlich nicht die „gute Qualität“ eines Produktes verbessern, sondern wirkt daraufhin eine zuvor bestimmte Beschaffenheit herzustellen.
Objektivität und Plausibilität
Ein (insbesondere in der Praxis) stark vernachlässigter Faktor ist Objektivität und Plausibilität. Sowohl Eingaben in Prozesse, Rechnungen oder Überlegungen, als auch Ergebnisse müssen sowohl objektiv als auch Plausibel sein. Dass diese beiden Begriffe nicht notwendigerweise Hand in Hand einhergehen zeigt das zuvor herangezogene Beispiel.
Um die Anforderungen der Kunden an das zu produzierende Smartphone festzustellen, könnte eine Befragung repräsentativer Personen durchgeführt werden. Durch ungeschickte Fragestellung könnte es eben zum Ergebnis kommen, dass Kunden bereit sind deutlich mehr für ein Gerät zu bezahlen, wenn es eine hohe Haltbarkeit garantiert. Auch wenn der folgende Produktentwicklungsprozess jetzt sich an den gesammelten Daten orientiert, also einem objektiven Verfahren folgt, wäre das Ergebnis katastrophal, da die Ausgangsbasis unplausibel ist.
Umgekehrt dazu könnte sich eine kleine Gruppe Produktentwickler und Manager zusammensetzen und Anforderungen für das Smartphone auf Basis ihrer Erfahrungen zusammenschreiben. Hier flössen vielleicht Informationen aus den Gesprächen der Teilnehmer mit ihrem jeweiligen Freundeskreis ein. Das Ergebnis wäre (subjektiv) plausibel, denn es deckt sich mit den (möglicherweise) ehrlichen Aussagen von Außenstehenden und die Ergebnisse wurden technisch beurteilt. Allerdings basieren die Daten auf keiner objektiven Methode, denn die Freundeskreise der Teilnehmer bestehen oft aus Gleichgesinnten und spiegeln (bestenfalls) nur einen kleinen Teil der Interessen einer potentiellen Kundschaft wieder.
Wichtig ist an dieser Stelle hervorzuheben, dass Wünsche und Bedürfnisse oftmals stark auseinander gehen und letztliche Handlungen oftmals auf Bedürfnissen und nicht auf Wünschen beruhen. Wobei die Unterscheidung dieser beiden Begriffe wichtig ist. Sind jemandes finanzielle Möglichkeiten beschränkt, so wünscht sich diese Person vielleicht eine große Villa, bedarf aber eines Hauses, dass sich innerhalb des finanzierbaren Rahmens befindet. Spiel Geld keine Rolle, wünscht sich eine Person vielleicht ein kleines Häuschen im Dorf, bedarf aber einer repräsentativen Loftwohnung, um ihrer sozialen Umgebung gerecht zu werden. Wünsche und Bedürfnisse können also die genauen Gegenteile voneinander sein. Daher ist es wichtig, die Bedürfnisse festzustellen und sich daran zu orientieren und nicht eine Wunsch- oder Idealvorstellung als Maßstab heranzuziehen.
Gerade in der Praxis des Qualitätsmanagements stellt sich aber immer wieder der Umstand ein, dass ein Idealzustand erzeugt werden soll, der dann häufig der Realität nicht gerecht wird und dadurch in sich unplausibel ist.
Faktenbasierte Verbesserung
Zur Steigerung der Effizienz eines Unternehmens werden immer wieder neue Methoden entwickelt, die manchmal wie mythische Heilsbringer gepriesen werden. Auch wenn die Entwicklung und Anwendung solcher Methoden durchaus legitim ist, ist es wichtig deren Prinzip zu verstehen. Denn im Prinzip sind alle diese Methoden gleich und versteht man das Prinzip nicht, nutzen die Methoden auch nichts bis wenig. Versteht man aber das Prinzip, ist die Methode fast egal und die Wahl der Methode ist dann nur von den Voraussetzungen des Unternehmens abhängig und kann gegebenenfalls an das Unternehmen angepasst werden.
Wie auch immer sich eine Qualitätsmanagement-Methode nennt, sie basiert im Kern auf einem Steuerungs-/Regelungskreis. Ein tatsächlicher Wert wird gemessen und mit seinem Sollwert verglichen. Auf Basis der Abweichung erfolgt eine Steuerung, deren Ergebnis wiederum mit dem Sollwert verglichen wird, woraus wiederum eine Steuerung erfolgt und so weiter und so fort. In diesem Zusammenhang wird häufig der Begriff PDCA (Plan Do Check Act) verwendet.
Grundvoraussetzung für das Funktionieren dieses Steuerungs-/Regelungskreises ist die Anwendung der zuvor genannten Grundsätze. Die Eingaben müssen objektiv und plausibel sein, die Handlung zur Verbesserung (Steuerung) muss sich an den Anforderungen orientieren (falls überhaupt eine Steuerung notwendig ist) und die Ergebnisse müssen wiederum genau wie die Eingaben objektiv gemessen werden und damit die Plausibilität der Steuerung geprüft werden. Wichtig ist dabei emotionslos zu handeln; Fehler nicht als persönliches KO-Kriterium zu werten aber auch nicht aufgrund von Befindlichkeiten an fehlerhaften Konzepten festzuhalten. Denn auch ein Fehler kann sich positiv auswirken, während sich korrekte Handlungen auch negativ auswirken können. In einer funktionierenden Fehlerkultur wird dann der Fehler eben nicht nachträglich als richtige Entscheidung und die korrekte Handlung als Fehler umgedeutet, sondern beides als das gesehen was es ist und aus beidem Erfahrungen gezogen, die sich dann zukünftig gleichermaßen positiv auswirken.
Außerdem sollte Verbesserung in kleinen Schritten erfolgen. Auch hierin sind sich alle Methoden einig. „never change a running system“ stimmt hier insofern, dass ein funktionierender Prozess nicht über den Haufen geworfen werden sollte um eine kleine Verbesserung zu erreichen. Vielmehr sollte auf funktionierendem aufgebaut werden, wofür wiederum die Kenntnis erforderlich ist, warum etwas funktioniert. Grundsätzlich verworfen werden sollten Prozesse nur, wenn die Existenz eines Produktes oder gar des ganzen Unternehmens auf dem Spiel steht und damit das Risiko, die Funktion des Prozesses ganz zu zerstören, relativiert ist. Dabei darf nicht vernachlässigt werden zu prüfen, inwiefern ein Prozess oder Produkt überhaupt noch tragfähig ist. Nicht wenige Unternehmen sind vom Marktführer zum Insolvenzfall gestolpert, weil sich Marktgegebenheiten plötzlich geändert haben und man zu lange an einem nur noch scheinbar erfolgreichen Produkt oder Prozess festgehalten hat.
Versteht man nun das Prinzip von Verbesserungsmethoden kann man basierend auf dieser Kenntnis eine spezielle Methode passend zum eigenen Unternehmen auswählen, ggf. anpassen oder gar eine ganz eigene Verbesserungsmethode entwickeln.
Diplomatie und Integration
Nicht umsonst steht dieser Punkt an letzter Stelle, denn es ist vielleicht der wichtigste Punkt. Wer einmal im Sondermaschinenbau gearbeitet hat, hat vielleicht die Erfahrung gemacht oder wurde im besseren Fall davor gewarnt, dass eine Maschine, über deren Entwicklung man sich lange Gedanken gemacht hat, die ausführlich getestet wurde, am Ende nicht annähernd den gewünschten Erfolg brachte. Die Bediener kommen einfach nicht zurecht, die Instandhaltung benötigt zu lange für Wartungen und die Werksleitung klagt schließlich über mangelnde Produktivität. Es ist vielleicht gar nicht mal die Maschine selbst, die nicht bedienbar und schlecht wartbar ist. Vielleicht können sogar die Mitarbeiter des Maschinenbauers beweisen, dass ihre Maschine zur Vergleichsmaschine deutlich im Vorteil ist. Trotzdem läuft die Produktion nicht an und das ist das was zählt.
Grund hierfür ist oft, dass sich Mitarbeiter des Kunden übergangen fühlen. Oftmals hat der Maschinenlieferant hier gar keinen Einfluss sondern kann nur das Ergebnis ausbaden. Ein Zaubermittel dagegen ist es das Bedien- und Instandhaltungspersonal möglichst von Anfang an in das Projekt zu integrieren. Nicht nur um die Erfahrungen dieser Leute auszuschöpfen, sondern auch um zu vermeiden, dass die Leute das Gefühl haben etwas aufgezwungen zu bekommen und übergangen worden zu sein. Eine Maschine, die nur mit Hängen und Würgen ihre Soll-Zahlen erreichen kann, läuft unterm Strich vielleicht besser als eine perfekt konstruierte Maschine, wenn die Mitarbeiter hinter der (fehlerhaften) Maschine stehen, vielleicht auch um ihre eigene Fehlentscheidung zu verstecken. Die gleiche Thematik ist beim Qualitätsmanagement-System vorhanden.
Die DIN EN ISO 9000:2015-11 (entnommen aus ISO/IEC Directives, Part 1, Consolidated ISO Supplement, Anhang SL) nennt den Begriff „interessierte Partei“, die „eine Entscheidung oder Tätigkeit beeinflussen kann, die davon beeinflusst sein kann, oder die sich davon beeinflusst fühlen kann“ (Abschnitt 3.2.3), wobei in Bezug auf das vorangegangene Beispiel „sich davon beeinflusst fühlen kann“, hervorgehoben werden muss. Interessierte Partien sind in der Regel die eigenen Mitarbeiter und Kunden bzw. Mitarbeiter der Kunden. Aber auch Behörden und Konkurrenten können hierunter fallen.
Wichtig ist es interessierte Personen oder Organisationen zu identifizieren und zum richtigen Zeitpunkt einzubinden, abzuholen, zu informieren oder den Informationsfluss von Anfang an zu unterbinden (z. B. zu einem Konkurrenten). Dabei ist es gar nicht mal gesagt, dass sich alle Parteien auch äußern möchten, mitarbeiten wollen/können oder einbezogen werden sollen. Oftmals ist der Schlüssel zum Erfolg in einer diplomatischen Präsentation der Thematik verborgen.
Resümee
Diese grundlegenden Punkte sind unerlässlich um ein Systemverständnis des Qualitätsmanagements zu erlangen. Beherzigt man diese Punkte, kann man davon ausgehen, dass das darauf basierende Qualitätsmanagement-System auf einer soliden Grundlage entwickelt wird.
Im nächsten Schritt geht es dann darum ein praxisnahes und für das jeweilige Unternehmen individuelles Qualitätsmanagement-System umzusetzen, zu regeln, was geregelt werden muss und auf Regeln zu verzichten, wo keine Regeln gebraucht werden. Dabei ist immer zu beachten, dass kein Idealismus Einzug hält, Fakten tatsächlich Fakten und keine Empfindungen sind, eine funktionierende Verbesserungskultur entsteht und gefördert wird und all dies nicht nur im „stillen Kämmerlein“ geschieht.
Qualitätsmanagement ist integraler Bestandteil der Unternehmensführung und unterscheidet sich von der gemeinhin als Unternehmensführung bezeichneten Tätigkeit dadurch, dass unternehmerischer Erfolg kein Zufall ist, sondern auf validen Zahlen und Tätigkeiten beruht.